Ein Leitartikel von Jenny Ebermann, CEO Wikimedia CH

Die Bedeutung von offenem, zugänglichen Online-Wissen für die Demokratie ist unbestreitbar. Doch was könnte passieren, wenn KI-gestützte Tools wie ChatGPT zunehmend die Nutzung von Online-Enzyklopädien wie Wikipedia verändern? Diese Entwicklung würde bedeutende Fragen und Herausforderungen aufwerfen, die weitreichende Auswirkungen auf die Qualität und Verfügbarkeit von Wissen haben könnten.

Die Integration von KI-Tools in den Wissenszugang birgt zweifellos Potenzial und Chancen. KI kann Informationen schnell und in leicht verständlicher Form bereitstellen, was den Zugang zu Wissen erleichtert. Doch gleichzeitig müssen Massnahmen getroffen werden, um die Qualität, Transparenz und Vielfalt der Informationen sicherzustellen.

Eine der grössten Herausforderungen besteht in der Qualität und Zuverlässigkeit der Informationen, die von KI-Tools bereitgestellt werden. KI-Modelle wie ChatGPT basieren auf großen Datenmengen, die fehlerhafte oder voreingenommene Informationen enthalten können. Im Gegensatz zu referenzierten Informationen wie z.B. auf Wikipedia, besteht bei KI die Gefahr der Verbreitung von Fehlinformationen. Dies kann zu einer Verzerrung des Wissens und zu Missverständnissen führen, die schwer zu korrigieren sind. “Als Gesellschaft sollten wir sicherstellen, dass KI-Modelle vermehrt auf glaubwürdige Quellen trainiert werden, z.B.: akademische Journale, öffentliche finanzierte Studien und öffentlich-rechtliche Medien. Natürlich braucht es dazu ein funktionierendes wirtschaftliches Modell”, sagt Dimi Dimitrov, EU Policy Director von Wikimedia Europa in Brüssel.

Ein weiteres Problem ist die mangelnde Transparenz und Nachvollziehbarkeit der von KI-Tools genutzten Quellen. Oft ist es unklar, woher die Informationen stammen, was es den Nutzern erschwert, die Glaubwürdigkeit der gelieferten Inhalte zu bewerten. Dies kann das Vertrauen in die bereitgestellten Informationen untergraben und die Nutzer dazu verleiten, unkritisch zu konsumieren.

Die zunehmende Abhängigkeit von wenigen großen (KI)-Anbietern kann zudem die Vielfalt der verfügbaren Informationsquellen einschränken und Monopole verstärken. Dies könnte die Meinungsvielfalt und Pluralität in der Gesellschaft gefährden, was eine zentrale Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist. Wenn nur wenige Unternehmen die Kontrolle über den Zugang zu Wissen haben, wird die Meinungsbildung stark beeinflusst und homogenisiert.

Zudem stellt die digitale Spaltung ein weiteres Problem dar. Der Zugang zu fortschrittlichen KI-Tools erfordert oft technische Infrastruktur und digitale Kompetenz, was die Kluft zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen vertiefen könnte. Menschen, die keinen Zugang zu diesen Technologien haben oder nicht in der Lage sind, sie zu nutzen, könnten vom Wissen ausgeschlossen werden, was bestehende Ungleichheiten verstärkt.

Die Verbreitung von Fehlinformationen durch KI-Tools kann zur Polarisierung der Massen und zur gesellschaftlichen Spaltung führen. Dies untergräbt die Demokratie, wie zahlreiche aktuelle Beispiele zeigen. Eine verantwortungsvolle Nutzung solcher Technologien ist daher entscheidend, um die demokratischen Werte zu schützen und zu fördern. Es ist wichtig, dass diese Entwicklungen von der Gesellschaft, der Wissenschaft und den Regulierungsbehörden kritisch begleitet und gestaltet werden.

Eine weitere relevante Frage ist, wie mit der Tatsache umgegangen werden soll, dass kommerzielle Unternehmen die Arbeit von Freiwilligen kostenlos nutzen, indem sie Daten aus Wiki-Plattformen ziehen und weiterverwenden. Diese Unternehmen profitieren von öffentlichem Wissen, ohne ausreichend zurückzugeben. Dies stellt ein erhebliches Risiko für das Wiki-Movement dar, das auf freiwillige Beiträge und Spenden angewiesen ist.

Das Dilemma des Wiki-Movements besteht darin, Wissen für alle offen und nachnutzbar bereitstellen zu wollen, einschliesslich kommerzieller Nutzung. Eine Einschränkung der Zugangsbedingungen würde jedoch auch vielen kleineren Organisationen und einzelnen Nutzerinnen schaden, wie Dimi Dimitrov betont. Um diesem Problem zu begegnen, versuchen das Wiki-Movement, die Quadratur des Kreises zu lösen, indem es Inhalte weiterhin für alle offen hältaber versucht, grosse Plattformen und Dienste dazu zu bewegen, auch finanziell einen fairen Anteil beizutragen. Die Idee ist, ein Entgelt für eine direkte, schnelle Verbindung zu den Servern zu verlangen und wenn notwendig, massgeschneiderte APIs vorzusehen. Weiterhin können natürlich Inhalte genutzt werden aber wenn ein Unternehmen in Echtzeit innerhalb kurzer Zeit zigtausende Anfragen stellt, belastet dies die Server Infrastruktur und führt zu Engpässen wofür dann eine entgeltliche Lösung gefunden wird.

Die besagte Initiative heisst Wikimedia Enterprise. Es ist ein erster Versuch, in die hoffentlich richtige Richtung zu gehen. Bisher ist Google zahlender Kunde, aber die Wikimedia Foundation hat dem Internet Archive und DuckDuckGo einen kostenlosen Zugang angeboten, weil Diversität und Konkurrenz geschätzt werden. Es besteht die Hoffnung, dass dies eine Säule unter vielen der Finanzierung für freies Wissen wird. Um die Projekte und Vereine weltweit weiterhin unabhängig zu halten, braucht das Wikimedia Movement jedoch auch weiterhin die Unterstützung durch so viele Spenderinnen und Spender wie möglich!

Durch eine verantwortungsvolle Nutzung und die Unterstützung freier Wissensplattformen können alle gemeinsam sicherstellen, dass offenes und zugängliches Wissen weiterhin eine tragende Säule unserer demokratischen Gesellschaft bleibt!